Psychische Erkrankungen bei Männern: Deshalb ist die Dunkelziffer so hoch

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Übermüdet, überlastet, gestresst und belastet von unbewältigten Tiefs: Viele Männer in Deutschland haben psychische Probleme, ignorieren diese aber oft. Und das obwohl nicht erkannte Depressionen folgenschwer sein können.

In unserer Gesellschaft herrscht oft das Bild des starken, unverwüstlichen Mannes vor, der keine Schwäche zeigen darf. Dieses stereotype Bild beeinflusst nicht nur die Art und Weise, wie Männer sich selbst wahrnehmen, sondern auch, wie sie mit ihren Gesundheitsproblemen, insbesondere mit psychischen Erkrankungen, umgehen. Die Einsicht, dass auch Männer von psychischen Erkrankungen betroffen sind und Hilfe brauchen, ist wichtig, um die Dunkelziffer zu reduzieren und den Betroffenen die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie benötigen.

Die Unsichtbarkeit psychischer Erkrankungen bei Männern

Experten beobachten, dass viele Männer in Deutschland mit psychischen Belastungen wie Übermüdung, Stress und Depressionen kämpfen. Anne-Maria Möller-Leimkühler von der Stiftung Männergesundheit betont, dass die traditionelle Vorstellung von Männlichkeit es den Betroffenen erschwert, ihre Probleme anzuerkennen und Hilfe zu suchen. Die Angst, als schwach oder als Versager gesehen zu werden, ist groß. Folglich werden psychische Erkrankungen bei Männern oft nicht diagnostiziert. Schätzungsweise leidet jeder vierte bis fünfte Mann innerhalb eines Jahres an einer psychischen Störung, wobei die tatsächliche Zahl aufgrund von Unterdiagnosen und mangelnder Behandlung wahrscheinlich höher ist.

Diese Diskrepanz zwischen dem Bedarf an psychologischer Betreuung und deren Inanspruchnahme ist alarmierend. Es gibt klare Geschlechtsunterschiede beim Zugang zum Gesundheitssystem. Männer suchen seltener Hilfe, was ihre Situation oft verschlechtert. Die daraus resultierenden Konsequenzen sind ernst. Die Suizidrate unter Männern ist ein tragisches Beispiel: Sie ist mindestens dreimal so hoch wie bei Frauen.

Die Rolle von Geschlechtsunterschieden im Umgang mit Depressionen

Die Fähigkeit, Symptome einer Depression zu erkennen, variiert ebenfalls zwischen den Geschlechtern. Annette Kersting vom Psychiaterberufsverband DGPPN weist darauf hin, dass Frauen generell besser in der Lage sind, Anzeichen einer Depression bei sich selbst und anderen zu identifizieren. Dies stellt eine zusätzliche Herausforderung für Männer dar, ihre eigenen psychischen Zustände zu verstehen und die Notwendigkeit von professioneller Hilfe zu erkennen.

Die unterschiedliche Wahrnehmung und Bewältigung von Depressionen hat weitreichende Folgen für die Betroffenen sowie für das gesamte Gesundheitssystem. Der Mangel an Offenheit und die Besorgnis über das Stigma, das mit psychischen Erkrankungen verbunden ist, führen dazu, dass viele Männer in eine Spirale der Verschlechterung geraten, ohne die notwendige Unterstützung und Behandlung zu erhalten.

Wie kann die Situation verbessert werden?

Es ist entscheidend, das Bewusstsein für psychische Gesundheit bei Männern zu schärfen und die Stigmatisierung zu verringern, die oft mit psychischen Problemen verbunden ist. Die Bereitstellung von mehr Bildungsressourcen und der Ausbau von Unterstützungsnetzwerken können dazu beitragen, das Schweigen zu brechen und Männern zu ermöglichen, Hilfe zu suchen, ohne Angst vor Urteilen zu haben. Zudem soll die Verfügbarkeit von spezifischen gesundheitlichen Angeboten für Männer erhöht werden, um einen leichteren Zugang zu professioneller Hilfe zu ermöglichen.

Die AOK empfiehlt Männern, die unter psychischen Symptomen leiden, professionelle Unterstützung zu suchen. Dieser Schritt kann lebensrettend sein und zur Überwindung von Hindernissen beitragen, die Männer daran hindern, sich ihren psychischen Problemen zu stellen. Der Weg zur Heilung und einem besseren Wohlbefinden beginnt mit dem Erkennen des Problems und der Bereitschaft, Unterstützung anzunehmen.

Die Erkenntnis, dass psychische Gesundheit ein integraler Bestandteil des allgemeinen Wohlbefindens ist, unabhängig vom Geschlecht, ist ein wichtiger Schritt zur Überwindung der hohen Dunkelziffer psychischer Erkrankungen bei Männern. Durch Aufklärung, Entstigmatisierung und die Bereitstellung von angemessenen Hilfsangeboten kann eine Umgebung geschaffen werden, in der Männer ihre psychischen Herausforderungen ohne Angst vor Diskriminierung oder Missverständnissen angehen können.

Das Bild der traditionellen Männlichkeit

Ein tiefgreifendes Verständnis der Gründe, warum Männer seltener psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, erfordert ein genaues Betrachten der gesellschaftlichen und kulturellen Normen rund um Männlichkeit. Historisch gesehen wurde von Männern erwartet, Stärke und Unabhängigkeit zu demonstrieren, Emotionen zurückzuhalten und in allen Lebenslagen die Kontrolle zu bewahren. Diese tief verwurzelten Stereotypen beeinflussen das Selbstbild vieler Männer und ihre Bereitschaft, psychische Probleme zuzugeben und Hilfe zu suchen. Forschungen zeigen, dass Männer dazu neigen, weniger über ihre Gefühle zu sprechen oder sie gar zu verbergen, um der gesellschaftlichen Erwartung an „männliches“ Verhalten gerecht zu werden.

Darüber hinaus führt die fehlende Aufmerksamkeit für Männergesundheit in Medien und Forschung dazu, dass weniger Ressourcen und spezialisierte Hilfsangebote verfügbar sind. Eine stärkere Fokussierung auf das Thema psychische Gesundheit bei Männern könnte dazu beitragen, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren und mehr maßgeschneiderte Unterstützungsstrukturen zu entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen von Männern eingehen. Interventionsstrategien, die speziell auf Männer abzielen und sie ermutigen, offen über ihre psychischen Probleme zu sprechen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, könnten eine Schlüsselrolle bei der Verbesserung der psychischen Gesundheitslage spielen.

FAQs zu psychischen Erkrankungen bei Männern

Warum nutzen Männer seltener Hilfsangebote bei psychischen Problemen?

Die Gründe, warum Männer seltener Hilfsangebote bei psychischen Problemen in Anspruch nehmen, sind vielschichtig und tief in den gesellschaftlichen Normen verwurzelt. Ein wesentlicher Faktor ist das Bild der traditionellen Männlichkeit, das stark, unabhängig und unverwundbar erscheint. Viele Männer befürchten, als schwach wahrgenommen zu werden, wenn sie zugeben, psychische Probleme zu haben und Hilfe zu suchen. Diese Angst vor Stigmatisierung und dem Nicht-Erfüllen von traditionellen Männlichkeitsidealen verhindert oft, dass Männer Unterstützung suchen, selbst wenn sie diese dringend benötigen. Hinzu kommt, dass psychische Gesundheitsprobleme oft nicht ausreichend in der öffentlichen Diskussion über Männergesundheit thematisiert werden, was zu einem Mangel an Bewusstsein und verfügbaren, speziell auf Männer ausgerichteten Hilfsangeboten führt.

Wie können Männer ermutigt werden, Hilfe bei psychischen Erkrankungen zu suchen?

Um Männer zu ermutigen, Hilfe bei psychischen Erkrankungen zu suchen, ist es notwendig, das Bewusstsein und das Verständnis für psychische Gesundheit in der Gesellschaft zu erhöhen und gleichzeitig die Stigmatisierung abzubauen. Dies kann durch umfassende Aufklärungskampagnen erreicht werden, die die Bedeutung psychischer Gesundheit hervorheben und deutlich machen, dass es ein Zeichen von Stärke ist, Hilfe zu suchen. Zudem ist es wichtig, spezialisierte Hilfsangebote und Beratungsstellen für Männer zu schaffen und zugänglich zu machen. Das Angebot von Anlaufstellen, die anonyme und niedrigschwellige Beratung ermöglichen, kann ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus könnte die Förderung von Vorbildern, die offen über ihre Erfahrungen mit psychischen Problemen sprechen, weiter dazu beitragen, das Schweigen zu durchbrechen und anderen Männern den Weg zur Hilfe zu erleichtern.

Welche langfristigen Auswirkungen können unbehandelte psychische Erkrankungen bei Männern haben?

Unbehandelte psychische Erkrankungen bei Männern können eine Reihe schwerwiegender langfristiger Auswirkungen haben, sowohl für die betroffenen Individuen als auch für die Gesellschaft insgesamt. Persönlich können langfristige psychische Probleme zu einer Verschlechterung der Lebensqualität, Problemen in Beziehungen und am Arbeitsplatz sowie zu physischen Gesundheitsproblemen führen. Psychische Erkrankungen wie Depressionen sind oft mit einem erhöhten Risiko für Herzerkrankungen und ein geschwächtes Immunsystem verbunden. Darüber hinaus ist die Suizidrate bei Männern, die an unbehandelten psychischen Erkrankungen leiden, deutlich höher. Gesellschaftlich führen unbehandelte psychische Erkrankungen zu höheren Gesundheits- und Wirtschaftskosten, unter anderem durch Arbeitsausfall und steigende Ausgaben im Gesundheitssystem. Indem die Zugänglichkeit zu und die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten verbessert werden, können diese negativen Auswirkungen reduziert werden.


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